6. „Volkslied“ und „Schargesang“ – Ein Beispiel für „weltanschauliche“ Praxistauglichkeit in der Musikpädagogik

Lehramtsprüfung 1943, Friederike Fostel, mdw-Archiv.
Lehramtsprüfung 1943, Friederike Fostel. Quelle: mdw-Archiv.

Ein Bestandteil der musikpädagogischen Ausbildung während des Nationalsozialismus war das Verfassen von klein besetzten Kantaten. Im Archiv der mdw sind einige dieser Arbeiten damals aktiver Studierender erhalten geblieben, die zum Teil im Hinblick auf Kompositionstechnik beträchtlichen Anspruch erkennen lassen. Meist für Solostimmen beziehungsweise kleinen Chor und wenige Instrumente konzipiert, beinhalten diese „Prüfungsarbeiten“ auch polyphone Formen (Passacaglia, Kanon, Fuge). Insgesamt wird man sie mit der Tradition der „Kammerkantaten“ einerseits und andererseits mit Vorstellungen der musikalischen Jugendbewegung in Verbindung bringen können.

In der 1943 komponierten Blumen Kantate für Solostimmen, Chor, Flöte und Streichquartett von Friederike Fostel (1918–1970) findet sich als dritter von insgesamt fünf Teilen ein sogenannter „Schargesang“. „Scharlieder“ waren ein wichtiger Bestandteil nationalsozialistischer Feiergestaltung, vor allem im Kontext von 'Hitler-Jugend' und 'Bund deutscher Mädel'. Kompositorischer Anspruch tritt hier zugunsten einer 'Gemeinschaftswirkung' zurück.

Der von der Komponistin als „Volkslied“ bezeichnete Text (die übrigen Texte der Kantate sind von Josef Weinheber und Emanuel Geibel) stammt von Wilhelm Hey (1789–1854) und war schon vor dem Ersten Weltkrieg in zahlreichen Schulbüchern, speziell für 'Mädchenschulen' zu finden. Notiert wird nur die erste Strophe, der unveränderte Vortrag sämtlicher Strophen ist aber naheliegend. Das Instrumentarium, das den einstimmigen Chorgesang begleitet, wird auf Flöte, Viola und Violoncello reduziert, wobei die Instrumente den prinzipiell sehr einfachen formalen Verlauf (a - b - a) im Sinne einer Scheinpolyphonie auflockern.

Obwohl der Text keine 'politische' Relevanz aufweist, ist der Einbau eines „Scharliedes“ in diese Kantate dennoch bemerkenswert, zeigt er doch, wie Bestandteile der NS–Musikpraxis – konkret: der Fest- und Feiergestaltung – offensichtlich in im weitesten Sinn 'schulmusikalische' Bereiche vorgedrungen waren. Die vielschichtige Gattung der Kantate taucht ja schon zuvor und auch noch danach in unterschiedlichsten politischen Kontexten auf.