5. „Repräsentative“ Kirchenmusik zur Zeit des Austrofaschismus
Am 28. und 29. Mai 1935 feierte die Abteilung für Kirchen- und Schulmusik ihr 25-jähriges Bestehen. Die Art der Veranstaltungen, die Gestaltung der Programme für die beiden Konzerte sowie die Resonanz bei kirchlichen und staatlichen Repräsentanten zeigen, dass diese Institution von den Repräsentanten der austrofaschistischen Kulturpolitik als gesellschaftspolitisch relevant angesehen wurde.

Abschluss und Höhepunkt der Feierlichkeiten war ein Konzert, das höchst repräsentativ im großen Saal des Musikvereins mit den Wiener Symphonikern und ihrem Chefdirigenten Oswald Kabasta (1896–1946) stattfand. Im Publikum saßen Vertreter*innen aus Kirche und Staat, darunter Bundespräsident Wilhelm Miklas (1872–1956). Außerdem fand eine Übertragung im Rundfunk statt. Das einleitende Werk, Variationen und Fuge über die österreichische Bundeshymne von Ernst Tittel (1910–1969), kann als Hommage an das damalige politische System aufgefasst werden. Es war ein Jahr zuvor in einer 'Weihestunde' für den ermordeten Kanzler Engelbert Dollfuß im großen Saal des Konzerthauses uraufgeführt worden, ebenfalls von den Wiener Symphonikern unter Kabasta. Das Programm präsentiert die Maximen der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik:
Die Student*innen sollten nicht nur für ihr Wirken in Kirche und Schule, sondern darüber hinaus auch auf ihre Rolle als musikalische Erzieher*innen „breiter Schichten der Bevölkerung“ vorbereitet werden. Der Leiter der Abteilung, der Komponist und Musikpädagoge Josef Lechthaler (1891–1948), setzte sich insbesondere für eine zeitgenössische Kirchenmusikkomposition ein, die in der Tradition verwurzelt bleiben und volksliturgisch ausgerichtet sein sollte. Mit ihm waren auch österreichische Kulturpolitiker überzeugt davon, dass Komponisten aus dem vermeintlich weltweit führenden Musikland Österreich diesbezüglich vorbildhaft sein könnten. Alle ausgewählten Werke des Konzerts entsprechen diesen Vorstellungen einer idealen zeitgenössischen Kirchenmusik. Mit den Kantaten von Josef Lechthaler (1933) und Leopold Daxsperger (eine Uraufführung) brachte man „Novitäten“, mit dem Te Deum von Max Springer das Werk eines seit den Anfängen der Abteilung für Kirchenmusik tätigen Komponisten. Den Anspruch der 'Volksbildung' lösten die Organisatoren auch bei der Auswahl der Mitwirkenden ein. Neben professionellen Sänger*innen und Musikern, Studierenden der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik, traten auch Chorist*innen aus verschiedenen Wiener Pfarreien und ein Kinderchor auf.

Der Komponist und Pädagoge Josef Lechthaler (1891-1948) war seit 1931 Leiter der Abteilung für Kirchenmusik und initiierte 1933 den Zusammenschluss mit dem Musikpädagogischen Seminar zur Abteilung für Kirchen- und Schulmusik. Seine Vorstellung einer musikalischen Volksbildung und einer zeitgenössischen an der Tradition orientierten Komposition wurde von der austrofaschistischen Kulturpolitik positiv aufgenommen. Lechthaler bekam damals mehrere politische Funktionen übertragen.