19. Opernstudio der „Russischen Stunde“
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Wien zwischen 1946 und 1950 vier Opernstudios gegründet, um junge Sänger*innen und Musiker*innen zu fördern: 1947 von der Staatsoper, 1950 vom „Verband der geistig Schaffenden in Österreich“, 1946 und ein zweites 1950 von der RAVAG (Österreichische Radio-Verkehrs AG). Letzteres war eine Einrichtung der von der sowjetischen Besatzungsmacht initiierten „Russischen Stunde“.

Alle noch vorhandenen Aufnahmen des Opernstudios der „Russischen Stunde“ befinden sich im Archiv des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw. Diese Quellen ermöglichen einen Einblick in eine von den Sowjets beziehungsweise von den österreichischen Kommunisten beeinflussten Kulturpolitik der Nachkriegszeit. Initiiert und geleitet wurde dieses Opernstudio von Anneliese Fritz Eulau (1918–1981), die in den 1930er Jahren an der mdw* studiert hatte. Sie musste ihr Studium allerdings aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1938 abbrechen und in die Schweiz emigrieren. Die musikalische Leitung übernahm der Dirigent und Lehrer der Kapellmeisterklasse an der mdw*, Gottfried Kassowitz (1897–1969).
Beispiel 1
Mit der Sendereihe „Russischen Stunde“ sollte die österreichische Bevölkerung ein positives Bild der Sowjetunion vermittelt bekommen, vorzugsweise durch die Präsentation einer hervorragenden sowjetischen/russischen Musikkultur. Im Bereich der Oper dominieren Werke von Petr Iljič Čajkovskij, Nikolaj Rimskij-Korsakov und insbesondere von Modest Mussorgskij. Seinem musikalischen Volksdrama „Chowanschtschina“ wurde eine ganze Sendung gewidmet, aus dessen 3. Akt ist die Arie des Bojar Schaklowitij zu hören. Der Sänger ist der mdw*-Student Franz Xaver Zach.
Beispiel 2
Die jungen Sänger*innen sollten aber auch die Möglichkeit erhalten, Musik von Komponisten zu präsentieren, die zum damaligen Kanon gehörten. Unter den Aufnahmen gibt es Arien von italienischen Komponisten wie Puccini und Donizetti, aber natürlich auch von Österreichern. Gottfried Kassowitz präferierte dabei allerdings weniger bekannter Werke wie die „Jugendopern Mozarts und die dramatischen Versuche Schuberts“. Das zeigt die Einspielung der Arie des Timon (Gomatz) aus dem Singspielfragment „Zaide“ von Mozart, in der Bearbeitung von Robert Hirschfeld. Sänger ist der mdw*-Student Waldemar Kmentt, der 1951 – im Jahr dieser Aufnahme – Mitglied des Ensembles der Wiener Staatsoper wurde.
Beispiel 3
Der Leitung des Opernstudios war es ein wichtiges Anliegen, sich nicht Beiträge aus dem Opernrepertoire zu senden, sondern ein möglichst breites musikalisches Spektrum zu bedienen – von Oper und Operette bis hin zu Volksliedern. Auch bei den als „Volkslieder“ bezeichneten Gesängen dominierten solche aus der Sowjetunion oder aus ‚befreundeten‘ Ländern, so auch das „Kosakische Wiegenlied“, 1951 gesungen von der 1949 an der mdw* inskribierten Tamara Drechsler-Dragan, am Klavier begleitet von der Leiterin des Opernstudios, Anneliese Fritz Eulau.