9. Musikstudierende: „Inländer“ - „blind“

[Ausführlicher Katalogtext]

[…] Und nun noch einige Worte für die blinden Berufsmusiker, die es, da sich ja wirkliche Begabungen stets durchzusetzen pflegen, immer geben wird. Ihre Ausbildung, vor allem die der zukünftigen konzertierenden Künstler, soll grundsätzlich an den Reichshochschulen für Musik erfolgen. […]

Ärztliche Bestätigung des Blindenerziehungs–Instituts für Leopold Tuschl. Quelle: mdw-Archiv
Das Blindenerziehungs–Institut suchte im März 1938 für Leopold Tuschl um Zulassung zur Ablegung der Staatsprüfung für das Lehramt der Musik an. Bild: Ärztliche Bestätigung des Blinden-Erziehungs-Instituts für Leopold Tuschl. Quelle: mdw-Archiv.

Mit diesen Worten positionierte sich der an der mdw* ausgebildete Musikpädagoge Josef Bartosch (1879-1963) in seiner vermutlich 1938 oder 1939 verfassten Abhandlung „Zur Frage des Musikunterrichtes an der Blindenschule“ (mdw-Archiv: Korrespondenz Musikerziehung.
1939–1943. „R.S. Div.“. A-Z [B]) deutlich zugunsten blinder Musikstudierender. Darin argumentiert das NSDAP-Mitglied gegen eine Einschränkung des Musikunterrichts für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche.

Tatsächlich konnten bisher vier Personen eruiert werden, die in der NS-Zeit ein Studium an der mdw* absolvierten, auf deren Matrikelblättern vermerkt wurde, dass sie blind seien: Helene (Hella) Sabeck, geb. Franzl (1916–1981), Wilhelm Graßmück (1916–1985), Josef Misar (1916–1985) und Leopold Tuschl (1917–2002). Sie alle hatten zuvor das Wiener Blindenerziehungsinstitut besucht, an dem Bartosch zwischen 1903 und 1945 unterrichtete.

Ausschluss, Entrechtung und Vertreibung von aufgrund der Definitionen der Nürnberger Gesetze
als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen setzte auch bei Blinden und Sehbehinderten sofort nach dem 'Anschluss' ein. Nur wenigen von ihnen gelang eine Flucht aus dem nationalsozialistischen Machtbereich. Einer von ihnen war der Musiklehrer Abraham Friedmann (1900–1949), der in den 1920er-Jahren ebenfalls an der mdw* studiert hatte. Im Juli 1938 musste er aus seiner Wiener Gemeindewohnung ausziehen. Mit Hilfe des Israelitischen Blindeninstitutskonnte er im Mai 1939 nach England fliehen.