8. Das Gesundheitsstammbuch als erb- und rassenbiologische Maßnahme
Vom Sommersemester 1939 an händigte der Gesundheitsdienst des Studentenwerks Wien allen neuimmatrikulierten ordentlichen Hörern und Hörerinnen der damaligen Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst das Gesundheitsstammbuch aus. Dies zählte zu jenen Maßnahmen der NS-Gesundheitspolitik, deren Ziel darin bestand, eine gesellschaftliche 'Auslese' im Sinne der vorherrschenden erb- und rassenbiologischen Ideologie vorzunehmen.

Verzeichnet waren im Gesundheitsstammbuch vor allem der „funktionelle Leistungszustand“, aber auch körperliche und psychische „Anomalien“. Eine „Erbtafel“ sollte Aufschluss über mögliche erbbiologische „Mängel“ geben. Menschen, die als „Träger von Anomalien“ galten, wurden von der „volkspflegerischen Hilfe“ der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ausgeschlossen. Zu dieser Hilfe zählten Milchzulagen, Schulspeisungen, Landverschickungen, Erholungslager, Kuraufenthalte, Betten- und Wohnungsbeschaffung.
Das Gesundheitsstammbuch wurde im nationalsozialistischen Deutschland Mitte der 1930er Jahre vom Hauptamt für Volksgesundheit eingeführt und fand vor allem in Massenorganisationen wie der Hitlerjugend Anwendung. An den Hochschulen und Universitäten wurde es in Zusammenhang mit den „Pflichtuntersuchungen“ und „Durchmusterungen“ verwendet.
Auch an der mdw* mussten sich seit dem Sommersemester 1939 alle neu immatrikulierten Studierenden der „Pflichtuntersuchung“ sowie alle Studierenden ab dem zweiten Semester der „Durchmusterung“ unterziehen. Diese „Musterungen“ waren Voraussetzung für die Fortsetzung des Studiums. Die Durchführung und Kontrolle war von erheblichem administrativen Aufwand: Das Reichsstudentenwerk fertigt Aushänge, Erinnerungs- bzw. Mahnschreiben, sowie Listen mit den Namen derjenigen an, die sich den „Musterungen“ zum jeweiligen Semesterbeginn noch nicht unterzogen hatten.