4. Clemens Krauss‘ Goldmark-Dirigat von 1934 als (fragwürdiges) Entnazifizierungsargument zugunsten des Dirigenten
Im Dezember 1934 leitete Clemens Krauss (1893–1954) die Wiener Philharmoniker als einer von zwei Dirigenten beim „Jubiläumskonzert“ der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst im Wiener Musikverein. Den Abschluss des Konzerts bildete Carl Goldmarks „Ouvertüre zu ‚Sakuntala‘“. Dieses Dirigat sollte knapp 20 Jahre später zur politischen Entlastung von Clemens Krauss herangezogen werden.

Krauss, Absolvent und Lehrender der mdw*, war von 1929 bis 1934 Direktor der Wiener Staatsoper. Ende 1934 verabschiedete er sich ins nationalsozialistische Deutschland. Dort wirkte er bis 1937 als Operndirektor in Berlin und anschließend bis 1944 als Generalintendant und Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München. Seit 1942 hatte er außerdem die Leitung der Salzburger Festspiele und des Mozarteums inne. Damit war Krauss mit dem NS-Regime von Beginn an verquickt wie wenige andere Dirigenten. Im Juni 1945 erhielt Krauss auf amerikanische Intervention hin für knapp zwei Jahre Berufsverbot als Dirigent in sämtlichen alliierten Zonen.
Krauss bedurfte somit politischer Entlastungszeugen. Einer von ihnen war Rudolf Hanzl (1912–1997), 1946 bis 1953 Vorstand der Wiener Philharmoniker. Hanzl (auch er ein Absolvent der mdw*) wählte das besagte „Jubiläumskonzert“ im Zuge der „Entnazifizierung“ von Krauss als Entlastungsargument und hielt zuhanden des österreichischen Unterrichtsministers im November 1952 fest: „Er [Krauss, F.T.] hat sich vom Wiener Publikum im Konzertsaal im Jahre 1934, nach seiner Ernennung in Berlin, mit einem Werk von Goldmark (!) [sic] verabschiedet, eigentlich nicht gerade ein Zeichen von NS-Gesinnung.“
Carl Goldmark war im Österreich der 1930er Jahre jedoch ein nach wie vor populärer Komponist. Seine jüdische Herkunft wurde damals nicht thematisiert, weder in Österreich noch in Deutschland, das bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft stand. Dies änderte sich erst 1940, als Goldmark ins Lexikon der Juden in der Musik, ein antisemitisches Machwerk, eingeschrieben wurde. Implizit knüpfte Hanzl somit an diese verhetzende nationalsozialistische Rezeption um 1940 an und aktualisierte die Stigmatisierung Goldmarks als jüdischen Komponisten einzig zum Zweck, einen der erfolgreichsten Günstlinge des NS-Regimes im Kunst- und Kulturbereich als Gegner des Nationalsozialismus zu stilisieren.